Filmkritik: Hauptsache knuddelig

Knut und seine Freunde

Filmrolle
Filmrolle

Das Element Wind als Geschichtenerzähler und roter Faden, der die Lebensgeschichten der Bärenjungen Pascha, Mascha, Knut, Lasse und Linn verbindet. Während sich die Braunbären Pascha und Mascha in den weißrussischen Wäldern als Waisen selbst beweisen müssen werden Lasse und Linn von Eisbärenmama Maidu in die Überlebensstrategien der Arktis eingeführt. Superstar Knuts Erwachsenwerden spielt sich im Gegensatz dazu im urbanen Raum ab. Dem sympathischen Tierpfleger und Bärenpapa Thomas Dörflein gelingt es im Jahr 2006 als einem der ersten, ein Eisbärenjunges von Hand aufzuziehen und löst damit einen Boom aus, der auf der Titelseite von Vanity Fair gipfelt. Tausende von begeisterten Zoobesuchern strömen in den Berliner Zoo, um dort den ersten Geh- und Schwimmversuchen Knuts beizuwohnen und Postkarten, Bücher, T-Shirts mit Bildern ihres ideal-süßen Kleinkinds zu erstehen. Zu herzig ist des Eisbärenbabys Knurren, Schnurren, Hinplumpsen und Flascherlnuckeln, als dass sich der Zuseher dem erstaunten Entdeckerblick entziehen und das eine oder andere gerührte OH oder schmachtende AH zurückhalten könnte.

Das Kindchenschema wirkt und lässt beinah vergessen, dass es sich beim kleinen Bären nicht um ein menschliches Kind handelt. Dafür zeichnen allerdings nicht nur Knuts knuddeliges Kleinsäugerwesen sondern in erster Linie Kameraführung und Drehbuch verantwortlich. Keineswegs ist eine realistische Darstellung vom Leben in der freien Natur Ziel des Films - vielmehr folgt man den aus älteren Disneyfilmen bekannten Schmalztrogschemata von frühem Mutterverlust und frech-kreativ-selbstständiger Welterschließung, aufopfernder Mutterliebe und artübergreifender Freundschaft. Letzteres wird bei jeder Gelegenheit durch die bald nervende Filmmusik von Peter Wolf unterstrichen - wälzen sich Thomas Dörflein und Knut tollend durch Wiesen des Tierparks wird man durch sie unweigerlich an die Intros von Sitcoms á la Eine himmlische Familie erinnert. Während das im Rahmen eines im Zoo durch Menschen aufgezogenen Babybären noch nachvollziehbar ist, arten die Naturdarstellungen in eine groteske Disneylandisierung aus. Die Frechdachse Mascha und Pascha stibitzen Honigwaben aus verlassenen Bauernhöfen, verjagen gemeinsam den bösen Wolf und naschen Äpfel direkt vom Baum. Weniger wichtig ist das Stillen des Überlebenstriebs in der Arktis, nach dem Stillen ist zwar ständig von kleinen Kämpfern und Jägern die Rede, die sich allerdings von Kuscheleinheiten und der Wanderslust zu ernähren scheinen. Natürlich soll hier nicht für eine blutrünstige Darstellung von Jagdszenen plädiert werden, Knut und seine Freunde stellt in dieser Hinsicht eine erfrischende Abwechslung in der gewaltzentristischen Medienlandschaft dar. Trotzdem stellt sich die Frage, ob man eine durch derart selektive Szenenauswahl zur unreflektierten Idylle stilisierte Natur nicht gleich durch eine digitale Landschaft ersetzen sollte. Dann könnte Maidu Linn noch schnell nachrufen „Pass auf, damit du nicht hinfällst", Pascha Mascha ins Ohr flüstern „Ich hab dich lieb" und Knut mit Thomas Dörflein einschlagen und sagen „Du bist mein bester Kumpel, Tommi".
Komplett vernachlässigt wird auch jeglicher Anspruch des Filmes auf Umweltbildung, was gerade bei einer Kinderdokumentation über freilebende Tiere in bedrohten Landschaften auf der Hand läge. So beschwert sich der Wind einmal über die stärker werdende Wärme und hofft, dass sich das schon irgendwie löse, um der Kamera daraufhin wieder Platz zu machen, die das kleine Schlabbermaul Knut inmitten von fünfzig kurz angeknabberten Makrelen sitzend, oder beim Verzehr eines Buttercroissants zeigt. Da kann sich der Zuseher wirklich entspannt zurücklehnen, am 0,7l Fanta ziehen, die weiche Pranke in die King Size Packung Popcorn schlagen und erleichtert seufzen
„Die Arktis gibt's zwar vielleicht bald nicht mehr, aber wir haben ja Knut, der uns an sie erinnert. Und der ist ja auch wie wir. Nur knuddeliger."